Gedichte & Gleichnisse
Charles Baudelaire
Ich weiß es, Geliebte: jetzt fallen mir die Haare aus vom wüsten Leben, und ich muss auf den Steinen liegen. Ihr seht mich trinken den billigsten Schnaps, und ich gehe bloß im Wind. Aber es gab eine Zeit, Geliebte, wo ich rein war.
Ich hatte eine Frau, die war stärker als ich, wie das Gras stärker ist als der Stier: es richtet sich wieder auf. Sie sah, dass ich böse war, und liebte mich.
Sie fragte nicht, wohin der Weg ging, der ihr Weg war, und vielleicht ging er hinunter. Als sie mir ihren Leib gab, sagte sie: Das ist alles. Und es wurde mein Leib.
Jetzt ist sie nirgends mehr, sie verschwand wie die Wolke, wenn es geregnet hat, ich ließ sie, und sie fiel abwärts, denn dies war ihr Weg.
Aber nachts, zuweilen, wenn ihr mich trinken seht, sehe ich ihr Gesicht, bleich im Wind, stark und mir zugewandt, und ich verbeuge mich in den Wind.
Bertolt Brecht, Gesang von einer Geliebten
Die Bäume standen alle grau und krank
im Wald herum, weil in dem Bach der Tag ertrank.
Du aber warfst die Kleider fort vom Leib
und hast ein weißes Licht
mir angezündet, du, mein Abendweib,
mit Wurzelhaar und Tiergesicht.
Und immer werden meine Augen hell und weit,
wenn in der Nacht mir solch ein Mond erscheint.
Mira l’Ydolle
Ich liebe Dich, bin toll, verrückt, von Sinnen.
Zum Glockenspiel machst du mein Herz,
und nichts was du liebst, betust,
kann mir entrinnen in meinem Schmerz.
Ein jeder Kuss von Dir lässt mich vor Sehnsucht zittern und erbeben.
Schenktest Du mir Deine Liebe,
ich gäb dafür mein Leben.
unbekannt
Ja, Du bist allgegenwärtig in meinem Zimmer. Du bist da wie die Luft, die ich atme. Und das ist der Grund, weshalb ich eigentlich nur lebe, wenn ich in meinem Zimmer bin. Dann fühle ich, dass Dein Platz hier ist, hier bei mir. Leb wohl, Geliebte, ich kann immer nur wiederholen: ich liebe Dich, weil ich keinen anderen Gedanken habe.
Charles de Costa
‚Daß ich des Glückes hätte teilhaftig werden können, für dich zu sterben! Lotte, für dich mich hinzugeben!
Ich wollte mutig, ich wollte freudig sterben, wenn ich dir die Ruhe, die Wonne deines Lebens wiederschaffen könnte.
Aber ach! Das ward nur wenigen Edeln gegeben, ihr Blut für die Ihrigen zu vergießen und durch ihren Tod ein neues, hundertfältiges Leben ihren Freunden anzufachen.‘
Die Leiden des jungen Werthers
Ein berühmter Sufi stirbt und steht vor Allah und Allah sagt: „Weiß Du, warum ich Dir verzeihe?“
Und der Sufi sagt: „Vielleicht weil ich Deine Gebote zu achten versucht habe?“
Allah sagt, „Nein, deswegen habe ich dir nicht verziehen!“
Der Sufi antwortet: „Dann vielleicht, weil ich in Wort und Tat Deinen Namen gepriesen habe?“
Allah: „Nein, deshalb habe ich Dir nicht verziehen!“
Sufi: „Dann vielleicht weil ich den Ungläubigen in meinen Schriften den Glauben an Dich näher gebracht habe?“
Und Allah antwortet: „Nein, darum habe ich Dir nicht verziehen… sondern deswegen: Erinnerst Du Dich, als Du an einem kalten Winterabend bei eisigem Wind, der durch die Straßen von Bagdad pfiff? Als Du ein verwirrtes hungriges Kätzchen aufnahmst, in den Mantel stecktest, nach Hause trugst, es füttertest und es bei dir leben ließt? Deswegen habe ich Dir verziehen!“
Aus Arabien
Welch ein Meisterstück ist der Mensch! Wie edel durch Vernunft!
Wie unbegrenzt in seinen Fähigkeiten!
In Gestalt und Bewegung, wie ausdrucksvoll und wunderwürdig!
In seiner Haltung, wie ähnlich einem Engel!
Im Denken, wie ähnlich einem Gott! die Zierde der Welt!
Das Vorbild aller lebenden Geschöpfe!
Und doch, was ist mir diese Quintessenz des Staubes?
Ich habe keine Lust am Manne, nein, und auch am Weibe nicht.
William Shakespeare
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
die eine will sich von der ander’n trennen:
Die eine hält in derber Liebeslust
sich an die Welt mit klammernden Organen;
die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
zu den Gefilden hoher Ahnen.
Goethe – Faust 1, Vers 1112 – 1117; Vor dem Tor
‚Daß ich des Glückes hätte teilhaftig werden können, für dich zu sterben! Lotte, für dich mich hinzugeben! Ich wollte mutig, ich wollte freudig sterben, wenn ich dir die Ruhe, die Wonne deines Lebens wiederschaffen könnte. Aber ach! Das ward nur wenigen Edeln gegeben, ihr Blut für die Ihrigen zu vergießen und durch ihren Tod ein neues, hundertfältiges Leben ihren Freunden anzufachen.‘
Goethe, Die Leiden des jungen Werthers
‚Ich schaudere nicht, den kalten schrecklichen Kelch zu fassen, aus dem ich den Taumel des Todes trinken soll! Du reichtest mir ihn und ich zögere nicht.‘
Goethe, Die Leiden des jungen Werthers
In alten Zeiten, in finst‘rer Nacht,
Wurd die Hex‘ ertänkt im Meer
Ihre Kinder, so sagt man, wurden weit fortgebracht,
Wart nur, bald holt sie deinen zu sich her.
Seefahrergedicht, 18. Jahrhundert
Wenn ich gestorben bin
dann gib alles, was noch übrig ist,
den Kindern
oder auch alten Menschen, die den Tod schon sehen.
Wenn du weinen musst,
dann bitte um den Menschen neben dir.
Und wenn du meine Nähe vermisst,
suche sie in einem anderen Menschen,
– umarme ihn –
gibt die Nähe ihm,
die du mir geben wolltest.
Ich möchte dir noch etwas schenken,
besser als Worte,
besser als Melodien.
Sieh mich, erkenne mich, in den Menschen, die ich kannte,
oder denen, die ich liebte.
Und wenn du mich nicht loslassen kannst,
lass mich in dem Leuchten deiner Augen leben;
vergrab mich nicht in deinen Gedanken.
Zeig deine Liebe,
wenn du Hände berührst,
Menschen nahe bist, ja, sie umarmst,
und Kinder in ihre Freiheiten lässt.
Liebe stirbt nicht,nur Menschen.
Wenn nun alles,
was von mir bleibt,
Liebe ist,
verschenke mich.
Grabinschrift – Von Merrit Malloy
i carry your heart with me
(i carry it in my heart)
i am never without it
(anywhere i go you go, my dear;
and whatever is done
by only me is your doing, my darling)
i fear no fate
(for you are my fate, my sweet)
i want no world
(for beautiful you are my world, my true)
and it’s you are whatever a moon has always meant
and whatever a sun will always sing is you
here is the deepest secret nobody knows
(here is the root of the root and the bud of the bud and the sky of the sky of a tree called life;
which grows higher than soul can hope or mind can hide)
and this is the wonder that’s keeping the stars apart
i carry your heart
Edward Estlin Cummings