Mein schönstes Weihnachten

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Mit Weihnachten konnte ich noch nie wirklich was anfangen. Ich mag dies beschenkt werden nicht und kann diese Stimmung für mich nicht nachvollziehen. Das ist schon seit vielen Jahren so.

Dennoch gab es ein Weihnachten, genauer ein Heiligabend vor vielen Jahren, der auch etwas Besonderes für mich war. Es war der zauberhafteste Feiertag, den ich jemals erlebt habe, obwohl oder gerade weil ich gearbeitet habe.

Aber ich muss vorne anfangen. Zu der Zeit habe ich in einem nordrheinwestfälischen Kurort – damals noch als Restaurant- resp. Hotelfachmann – gearbeitet. Mein Kollege, der in einem anderen Haus zu der Zeit gearbeitet hat, und ich trafen uns beinahe jeden Abend nach Feierabend in einer Hotelbar in jenem Kurort. Es blieb nicht aus, dass wir also die Stammbedienung Julia* und die Eigentümerin Frau Vogel* gut kennenlernten und mit ihnen auch viele Gespräche hatten.

Nach ca. einem Jahr wollte Julia Weihnachten freihaben. Da sie die einzige Bedienung in der Bar war, war dies schwierig. Da wir uns dort mittlerweile auskannten und aufgrund unserer Erfahrung in der Gastronomie boten wir an, dass jeder von uns einen Abend übernimmt, mit der Bedingung, dass wir dort im Hotel übernachten können. Frau Vogel fand die Idee nicht schlecht und so wurde es vereinbart.

In jenem Kurort finden sehr häufig hochkarätige Konzerte statt. So ist an jenem Weihnachten das russische Staatstheater-Orchester oder Staatsballett, irgendetwas sehr Bekanntes jedenfalls, dort im Kurpark aufgetreten. Davon wusste ich allerdings nichts, als ich an jedem 24. Dezember die Bar öffnete. Wie zu erwarten, war an dem Abend natürlich nichts los. Lediglich ein älteres Ehepaar aus der Stadt und zwei Ehepaare als Hotelgäste waren ab 20 Uhr in Bar. Es war also ein langweiliger Abend für alle.

Gegen 23 Uhr kam ein junger Mann in die Bar und bestellte einen Wodka. Ich holte ein vereistes Glas, schenkte den Vodka ein und stellte ihn neben ihn auf die Theke. Er schaute etwas skeptisch und versuchte mir auf Russisch und mit Gesten zu erklären, dass das nicht genug sei. Also holte ich die Flasche und schenke bis zum nächsten Eichstrich ein. Dann hielt er meine Hand fest und das Glas füllte sich weiter. Als es voll war, danke er mir in Russisch und leerte das Glas in einem Zug.

Michelle Raponi auf Pixabay
(c) Michelle Raponi auf Pixabay

So ging es ein – zwei weitere Male. Hier und da kamen weitere einzelne Gäste. Mit fiel durchaus auf, dass diese alle russisch sprachen und Wodka tranken. Aber da ich nicht wusste, dass hier ein Konzert im Park war, folgerte ich auch nichts aus Tatsache, da im Hotel viele ausländische Gäste logierten.

Dann zeigte er auf den Flügel, der in der Bar stand. Ich deutete es so, dass er wohl spielen wollte. Ganz sicher war ich nicht, ob das eine gute Idee sei, schließlich waren noch ein paar andere Gäste da. Aber es war Weihnachten, also, was soll’s.

Er ging zum Flügel, öffnete ihn professionell und setzte sich. Dann begann er zu spielen. Kalinka war das erste, womit er den Flügel testete. Danach folgte noch ein russisches Volkslied. Es klang schön. Die Stimmung wurde noch angeheizt, als mich ein Gast bat, die Musikanlage auszuschalten. Ich hatte das gar nicht mitbekommen, dass die noch irgendeinen Smooth-Jazz spielte. Dann gingen nach und nach die gerade erst angekommenen russischen Gäste und verschwanden ins Hotel.

Merkwürdig. Aber die Zimmernummern hatte ich ja schon.

Dann kam der erste zurück. Er hielt eine Querflöte in der Hand.

Der zweite kam zurück. Mit einer Geige. Der Dritte mit einem Cello…. und so kamen nach und nach neun weitere Personen mit Musikinstrumenten dazu.

Und dann war es wie ein Traum. Sie spielten zusammen, einfach so. Stücke von Verdi und Mozart, moderne Songs… die paar Gäste wünschten sich was und wurden bedient. Selbst der Klassiker aus Casablanca („Play it for me, Sam, play…“) „As time goes by“ wurde so wundervoll gespielt. Es war traumhaft. Es war eine so schöne Stimmung und nach einigen Songs habe ich einen großen Cognac-Schwenker auf den Flügel gestellt. Die paar wenigen Gäste die da waren, füllten das Glas mit Scheinen. Ein älter Gast, ein Stammgast mit seiner Frau aus dem Ort, ging gerade zum Flügel als ich vorbeikam. Er sagte: „Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht so etwas schönes erlebt!“. Er steckte einen 100 DM Schein in den Schwenker und bedanke sich mit Tränen in den Augen bei den Musikern.

Es ist schwer diese Stimmung zu beschreiben, dies Gefühl, was ich dort erlebte. Es war magisch, wahnsinnig ergreifend, einfach nur wundervoll.

Sie waren alle Musiker dieses russischen Orchesters, die nach Ihrem Spiel im Kurpark im Hotel übernachteten und die uns einen ganz besonderen Zauber in die Bar brachten.

Irgendwann nach drei Uhr morgens kam ich dann auf mein Hotelzimmer. So glücklich bin ich selten eingeschlafen und so gut habe ich auch selten geschlafen.

Es ist nach wie vor das schönste Weihnachten, welches ich jemals erlebt habe. Diese Stimmung habe ich bis heute nicht wieder gefühlt. Einfach nur schön!

 

*Namen geändert